„Man muss sie behandeln wie Frauen“ Ende November 1988 fand in Jerusalem die erste internationale Konferenz jüdischer Feministinnen statt. 350 Jüdinnen aus 21 Ländern gelang es, Brücken zu schlagen. |
Die Berichterstattung über die Konferenz wurde zum Spießrutenlauf. Der Redakteur einer alternativen österreichischen Zeitschrift bestand darauf, "jüdisch" mit "israelisch" zu verwechseln. Der Abteilungsleiter im Österreichischen Rundfunk sprach von einem "exotischen Thema". Der Frauenfunk des Sender Freies Berlin schnitt dort, wo von Antisemitismus in beiden deutschen Staaten die Rede war. Österreichs Anti-Waldheim-Blatt "profil" weigerte sich, den bestellten Artikel zu veröffentlichen. Als Feministin bin ich Widerstände gewöhnt. Diesmal trifft es mich doppelt. "Es ist schwer Jüdin zu sein", sagte die amerikanische Autorin von Frauen, das verrückte Geschlecht, Phyllis Chesler, in ihrem Vortrag, gleichsam als Vorwegnahme einer möglichen Erklärung. "Es ist schwer Zionistin zu sein. Es ist schwer Feministin zu sein. Noch schwerer aber ist es, eine Feministin zu sein, die eine Jüdin ist, die eine Zionistin ist." Ebenso umfassend wie der Anspruch jeder einzelnen Teilnehmerin, in Jerusalem endlich einmal keinen Teil ihrer selbst abspalten zu müssen, war auch der Anspruch der gesamten internationalen Konferenz jüdischer Feministinnen. Deshalb geriet das Tagungsprogramm so kompakt, dass die Frauen aus aller Herren Länder vier Tage lang keinen Fuß vor die Tür setzten. Aber im (nicht zufällig, wie manche meinten) auf der Westbank gelegenen Hyatt Regency Hotel sorgten hängende Gärten, Wasserfall und gewölbtes Glasdach für den Kontakt mit der Natur. Die Konflikte waren vorprogrammiert. Daran konnte auch die pausenlose Musikberieselung nichts ändern. World und American Jewish Congress hatten extrem US-lastig eingeladen. Erst in einer späteren Planungsphase kam das Israel Women's Network dazu. Europäische Jüdinnen mit dem Problem des wachsenden Antisemitismus in ihren Ländern waren krass unterrepräsentiert. Eine junge Österreicherin hatte auf komplizierten Umwegen von der Veranstaltung erfahren. In Jerusalem gewann sie den Eindruck, unerwünscht zu sein. Gleich bei der Eröffnungsveranstaltung kam es zum Eklat. Linke israelische Feministinnen, die nur vereinzelt an der Konferenz teilnahmen, störten die glatte Begrüßungsansprache der Vertreterin des World Jewish Congress, Bernice Tannenbaum. Sie entrollten vor den adretten amerikanischen Damen ein riesiges Spruchband mit dem Text "Gemeinsam mit den israelischen Feministinnen gegen die Besetzung". Tannenbaum sprach seelenruhig weiter, ohne sich darauf zu beziehen. Doch über die nationalen und ideologischen Unterschiede hinweg gab es eine verbindende Gemeinsamkeit: Jüdische Feministin zu sein ist mehr als die Addition zweier Diskriminierungen. Viele Frauen stellten zwischen ihrem Engagement in der Frauenbewegung und ihrem Judentum einen direkten Zusammenhang her. "Wenn es stimmt, dass das Judentum eine dynamische, veränderungsfähige Religion ist, die auf Gerechtigkeit, Mitgefühl und Moral gründet, dann können wir Feminismus und Judaismus unter einem universellen Prinzip von Gleichheit miteinander verschmelzen", verhieß zu Beginn die große alte Dame der amerikanischen Frauenbewegung, Bella Abzug. Auch Phyllis Chesler berief sich auf ihre jüdische Tradition, als sie sich zu ihrer - eigenartig mit rebellischer Politik vermengten - Vorliebe für Mystik bekannte. In den USA wollen sich jüdische Feministinnen im Judentum häuslich einrichten. Sie lassen sich zu Rabbinerinnen ausbilden, eignen sich die jüdischen Feste und Rituale an und deuten sie um. "Lilith" heißt ihre Zeitschrift. Lilith ist Evas stolze ältere Schwester, die sich nicht dem männlichen Diktat unterwarf. Einen Geschmack von der Frauenfeindlichkeit des ultraorthodoxen israelischen Judentums bekamen einige Dutzend Kongressteilnehmerinnen an der "Klagemauer". Vor den laufenden Kameras der Weltpresse versammelten sie sich unter der Leitung von Rabbinerinnen aus den Vereinigten Staaten und Kanada auf der Frauenseite der Mauer zum gemeinsamen Gebet samt Lesung aus der Thora. Es war ein historisches Ereignis: Noch nie hatte in Jerusalem eine Frau die Thorarolle berührt. "Protest", "Das ist verboten", "Schweine", "Unsauber" tobten die Männer in Schwarz und rüttelten bedrohlich am Zaun, der die Geschlechter trennt. "Gott hat gemacht einen Plan, und so muss es sein", wurden die Feministinnen aber auch diesseits von einer Traditionalistin mit Perücke in einem Gemisch aus Deutsch und Jiddisch belehrt. Andrea Dworkin, die hierzulande vielgeschmähte Autorin von Pornographie, hat denn auch nichts übrig für den Gott der Juden: "Das Alte Testament ist das Grundgesetz der Männerherrschaft. Wenn ihr mit Gott hadern wollt, hadert doch zuerst mit dem Mann, den Gott nach seinem Ebenbild erschaffen hat!" Dworkin, die einen Teil ihrer Familie im Holocaust verloren hat, versteht sich als Jüdin, die von der Geschichte dazu gemacht wurde. Daraus zieht sie Schlüsse: "Weil ich eine Jüdin bin, nehme ich Sadismus sehr ernst. Ich weiß, wie rasch Menschen getötet werden können." Auch bei der französischen Journalistin und Autorin eines Buches über jüdische Frauen(1), Ren‚e David, hat der Schöpfer keine Chance, "aber es gibt eine Definition des Judentums, die in Frankreich von Sartre geprägt wurde. Wir wollen nicht immer nur in den Augen der anderen Juden sein, wir wollen nicht nur über den Antisemitismus definiert werden. Ich schätze die kollektive Geschichte des Judentums und hänge sehr an der universalistischen Moral, an der Achtung vor dem Fremden, an der intellektuellen Neugier, an der Offenheit gegenüber anderen Kulturen". Auf ihr jüdisches Erbe beziehen sich viele Feministinnen aber auch in ihrer Kritik an Israel. "Ich bin mit einer Philosophie aufgewachsen", erzählte die ehemalige Kongress-Abgeordnete aus New York, Bella Abzug, "die mich lehrte, dass es für mich selbst und meine Familie weder Frieden noch wirtschaftliche Gerechtigkeit noch religiöse Freiheit geben kann, solange diese Werte anderen unzugänglich sind". Selbstredend meinte sie damit auch die Palästinenser/innen. "Da die Juden ein Volk sind, das immer für Selbstbestimmung gekämpft hat, müssen wir das Recht der Palästinenser auf Selbstbestimmung anerkennen", donnerte sie unter tosendem Applaus. Die europäischen Jüdinnen, die in ihren jeweiligen Ländern eine verschwindende Minderheit bilden, kamen auf der Konferenz nicht auf ihre Rechnung. Gegenüber den selbstbewussten Amerikanerinnen und Israelinnen wirkten die vier deutschen und österreichischen Jüdinnen seltsam verschüchtert und identitätslos. Der Antisemitismus, mit dem wir in unseren Ländern zu kämpfen haben, interessiert die Israelinnen herzlich wenig. "Ich bedaure, dass wir es immer noch nötig haben, zusammenkommen, um uns zu befreien", meinte herablassend eine junge Frau aus Haifa, die sich nach Isaac Deutscher als "nichtjüdische Jüdin" versteht, "aber vielleicht muss jede einmal ihr Minderheitenproblem überwinden, ehe sie sehen kann, dass es auch etwas darüber hinaus gibt". Darüber hinaus gibt es in Israel vor allem die "Gebiete". Während die Konferenz zwei Tage lang über die Veränderung der jüdischen Familie, die Probleme alleinstehender Jüdinnen und die feministische Neuinterpretation der Thora debattierte, schwelte der Unmut. "Durch das Harmoniebedürfnis der Veranstalterinnen, aus der Konferenz eine hübsche rosa Torte mit Kerzen zu machen, haben wir eine große Chance verpasst", zürnte eine Teilnehmerin aus Großbritannien. "Zu einem Zeitpunkt, den ich als einen Wendepunkt in der jüdischen Geschichte sehe, ist jede Diskussion über Frauenthemen absolut irrelevant." Kann es überhaupt eine Gemeinsamkeit zwischen den europäischen Jüdinnen mit ihrem rückwärts gewandten Trauma und der jungen israelischen Frauengeneration geben, die gemeinsam mit dem "Feind" gegen den jüdischen Staat kämpft, fragte ich. "Es wäre einen Versuch wert gewesen", antwortete die Mutter von vier Kindern, "in beiden Fällen geht es doch um Vorurteile, um die Angst vor Menschen, die anders sind, um das Bild, das wir uns von anderen Menschen machen." Als es endlich am dritten Abend zur lang erwarteten Debatte über Krieg und Frieden kam, waren die Emotionen und Aggressionen bereits am Sieden. Der Konflikt im Nahen Osten rührt an tiefsitzenden Ängsten. Für die einen steht das Judentum mit seiner Tradition von Toleranz und Gerechtigkeit auf dem Spiel. "Die Regierungspolitik in den besetzten Gebieten verrät die Ideale, die uns hierher gebracht haben", sagte eine Israelin und appellierte an die Ausländerinnen, "allen Juden zuliebe" nicht zu schweigen. "Ich wurde im Konzentrationslager gezeugt", rief eine Amerikanerin, den Tränen nahe, "und mein Mann ist ein Überlebender des Holocaust. Wir dürfen unsere Menschlichkeit nicht verlieren." Für die anderen überwiegen Angst und Misstrauen: "Wer garantiert uns, dass sie nicht alle Juden hinausschmeißen, wenn wir jetzt nachgeben?" fragte eine Israelin. "Wir müssen die Nerven bewahren, wenn wir überleben wollen", posaunte eine ehemalige Soldatin und hochrangige Funktionärin der Likud-Partei und verwies stolz auf den Kriegsdienst ihrer Söhne. "Was sollen wir denn tun, wenn sie mit Steinen nach uns werfen? Ihnen mit Blumen antworten?" meinte eine Inderin. "Soll der Feind sich doch um seine eigenen Kinder kümmern", zischte zum Entsetzen aller eine Hardlinerin, die mit ihrer Tafel mit Farbfotos von "Opfern des arabischen Terrors" bei keiner Friedensdemonstration fehlt. Eine Aktivistin einer Frauengruppe, die sich für politische Gefangene einsetzt, reichte verstohlen Flugblätter herum, in denen über die Vergewaltigung und sexuelle Misshandlung palästinensischer Frauen durch israelische Soldaten berichtet wird. "Sie ist eine Kommunistin", wehrte eine Norwegerin die ungelegene Information ab. Charlotte Ettlinger hat in Schweden überlebt. Für sie zählt nur eines: "Ohne Israel könnte ich nicht leben." Doch wie ein Wunder herrschte am letzten Tag der Marathonkonferenz dennoch kurzfristig Einigkeit. Der leidenschaftliche Appell der Knesset-Abgeordneten und Gründerin der Bürgerrechtspartei, Shulamit Aloni, sich in die Politik einzumischen und der in Israel betriebenen "Vergötterung des Machos" eine eindeutige Absage zu erteilen, verfehlte nicht ihre Wirkung. Der schlichte Bericht in brüchigem Englisch von Renée Epelbaum, der Gründerin der argentinischen Mütter der Plaza de Mayo, die vergeblich auf die Rückkehr ihrer drei verschwundenen Söhne wartet, entlockte nicht wenigen Kämpferinnen Tränen des Mitgefühls. Doch Bella Abzug verhinderte das Absacken der Schlussveranstaltung in Rührseligkeit: "Der Globus ist aus den Fugen geraten, weil die Regierungen dieser Welt aus einem Geschlecht bestehen", rettete die Wortgewaltige mit den breitkrempigen Hüten wie schon so oft die Situation. Auf dem Hintergrund der politischen Situation Israels sah ich die Friedensbewegung der Frauen plötzlich mit anderen Augen. Bei der Schlussveranstaltung überwog eine Wärme und ernsthafte Bereitschaft zu gesamtgesellschaftlicher Verantwortung, wie ich sie auf einer europäischen Frauenkonferenz noch nie erlebt habe. Die Mitbegründerin der amerikanischen Frauenzeitschrift Ms. Magazine, Letty Pogrebin, hatte Recht, wenn sie die Konferenz als "die umfassendste in der Geschichte der Neuen Frauenbewegung" bezeichnete. Die kollektive jüdische Leidensgeschichte bildete wohl eine Klammer, die es Feministinnen unterschiedlichster Herkunft ermöglichte, einander zuzuhören und ein Stück weit zu verstehen. Pogrebin fasste abschließend noch einmal zusammen, was in ihren Augen die besondere Stärke jüdischer Feministinnen ausmacht: "Wir verkörpern beide Identitäten zur gleichen Zeit. Doch unbewusst entscheiden wir von Mal zu Mal, welcher Teil unserer selbst jeweils das größere Risiko eingeht. Wir müssen uns sowohl gegen Sexismus als auch gegen Antisemitismus wehren und wir müssen begreifen, dass zwischen den beiden ein Zusammenhang besteht." Mit der Parole "Stop the Occupation" demonstrieren seit einem Jahr Woche für Woche schwarzgekleidete Frauen - jüdische und palästinensische Israelinnen - am Jerusalemer Palast Square für Frieden. "Die Araber verstehen nur die Sprache der Gewalt", rief ein Busfahrer am Freitag nach der Konferenz den Demonstrantinnen zu, "man muss sie behandeln wie Frauen." _________________________________ (1) Renée David, Les femmes juives, Librairie Acad‚mique Perrin, Paris 1988.
Gespräch mit Cathy Gelbin Cathy, du bist in der DDR aufgewachsen und gehörst jetzt in Westberlin dem lesbisch-feministischen Schabbeskreis an. Was bedeutet für dich diese Rückbesinnung auf die jüdische Tradition? Cathy Gelbin: Ich kann heute sagen, dass ich nicht an Gott glaube, aber ich finde das Judentum als Tradition sehr interessant. Da ist viel, das mich berührt und anregt. Und ich spüre, dass ich diese Auseinandersetzung ein Leben lang führen werde. Die Feste, zum Beispiel, haben für mich eine Sinnlichkeit, mit der ich sehr viel anfangen kann. Es ist ja irgendwie schwer zu definieren, was Judentum überhaupt ist. Aber gerade diese Vielfalt der Traditionen finde ich so interessant. War das bei dir zuhause ein Thema? Nein, meine Eltern waren typische jüdische Kommunisten, die vom Judentum am liebsten nichts wissen wollten. Als Kind waren Juden für mich Menschen, die ermordet wurden. Und mit dieser Hypothek wächst du auf. Du hast auf deiner Schulter sechs Millionen Tote und du brichst unter dieser Last fast zusammen. Sich mit jüdischer Religion und Tradition zu befassen, heißt zu sehen, dass das Judentum nicht nur das ist, sondern auch viel Positives bedeutet, das ja in meiner Familie auch vorhanden war - eine gewisse Toleranz, eine bestimmte dialektische Art zu denken. Und was sagt die Feministin zum Judentum? Es kommt darauf an, was du darunter verstehst. Wenn du das orthodoxe Judentum meinst, ja, dann ist es reaktionär und frauenfeindlich. Aber für mich ist das Judentum nicht etwas, was ein für alle Male festgelegt ist. In den USA ist das ein ganz wichtiges Thema: Wie können wir das Judentum so verändern, dass auch Frauen dort ihren Platz finden? Ich gehe, wenn überhaupt, dann nur in die liberale Synagoge, aber in beiden deutschen Staaten ist selbst das liberale Judentum sehr reaktionär und fällt weit hinter das zurück, was in den USA liberal heißt und womit ich mich identifizieren könnte. Seit ich das letzte Jahr in New York war, habe ich noch weniger Lust, in Berlin in die Synagoge zu gehen. Ich denke, das geht wahrscheinlich vielen Frauen so, aber das scheint die Gemeinde nicht zu interessieren. Kannst du diese Diskussion in Berlin überhaupt führen? In Berlin ist das leider nur im sehr kleinen Rahmen möglich. In den Schabbeskreis können zwar alle Frauen kommen, die sich für das Judentum interessieren, aber die nichtjüdischen Frauen sind alle aus Großbritannien und den USA. Sie kommen zum Studium nach Berlin und spüren ein Vakuum. Den deutschen Feministinnen fehlen die Jüdinnen nicht. Sie sind in einer Gesellschaft ohne Juden aufgewachsen. Gibt es Antisemitismus in der Frauenbewegung? Ja, da ist einerseits die feministische Theologie, mit der wir Ärger haben. Da wurden viele alte christliche Judenklischees aufgegriffen und feminisiert. Andererseits sind viele Frauen neugierig und möchten mehr über die Juden wissen, haben aber gleichzeitig große Berührungsängste. Wenn sie Fragen stellen, beziehen sie sich meistens auf Vorurteile und Bilder, die sie von Juden im Kopf haben. Entweder wir werden gefragt, wie wir uns mit dieser patriarchalen Religion identifizieren können, oder wir werden sofort nach Israel verfrachtet und zu Aggressorinnen gegen die Palästinenser gemacht. Nur wie wir uns selbst definieren, danach werden wir selten gefragt. Erschienen in: „die tageszeitung“, Berlin, Januar 1989 „Man muss sie behandeln wie Frauen“ © 1989 Erica Fischer |