Anmerkungen zu Nation, Krieg und Geschlecht |
Im vergangenen Jahrhundert sollen mehr als einhundert
Millionen Menschen in Kriegen getötet worden sein. Das sind etwa Dreiviertel
der geschätzten Opfer seit Anfang des sechzehnten Jahrhunderts. Die
Unterscheidung zwischen Kombattanten und Zivilisten ist längst obsolet
geworden. Während im Zweiten Weltkrieg noch die Hälfte aller Toten Zivilisten
waren, sind es mittlerweile bereits 90 Prozent. Da es im Regelfall Männer
sind, die zu den Waffen gerufen werden, sind Zivilisten in erster Linie
Frauen, Alte und Kinder. Weniger beweglich und ärmer als die Männer
im waffenfähigen Alter, haben sie auch weniger Möglichkeiten, der Kriegszone
zu entkommen oder sich mit Geld Schutz zu erkaufen.
Von Lust wird also wenig die Rede sein in meinen Ausführungen, allenfalls von der Lust an der Macht. Es handelt sich dabei um eine einseitige Lust, denn nur einer im Geschehen genießt Entscheidungsfreiheit. Im Gegensatz zum Titel der Veranstaltung handelt es sich bei dem Phänomen, das ich beschreiben möchte, nicht um ein Verwandlungsverbot, sondern nachgerade um ein Verwandlungsgebot. Um das Gebot, den männlichen Körper, die männlichen Genitalien, in Kriegszeiten in eine Waffe zu verwandeln, die sich meistens gegen ein weibliches Opfer richtet, aber nicht immer. In der "Frankfurter Rundschau" wird von einem Tschetschenen berichtet, der während des Verhörs im russischen Lager Tschernokosowo zusammengeschlagen und vergewaltigt wurde, von Männern selbstredend. Als sie ihn in die Zelle zurückbrachten, zwangen sie ihn, seinen Kameraden zu sagen, wie er heiße. "Fatima", sagte er und war ein gebrochener Mann.[1] Derlei Berichte gibt es viele aus dem Lagern in Bosnien-Herzegowina. Keine schlimmere Demütigung ist denkbar für einen Mann als durch Vergewaltigung zur Frau gemacht zu werden. Der Übergang vom Frieden zum Krieg ist, wie wir wissen, fließend. Beide Geschlechter werden in Friedenszeiten auf die unterschiedlichen Aufgaben ihrer Körper vorbereitet. Der Unterschied besteht im Ausmaß der Gewalt und in der Straflosigkeit, die zwar im Kriegsrecht nicht verankert ist, doch de facto gehören in Kriegen Vergewaltigungen zum Gewohnheitsrecht und werden nur symbolisch bestraft. Männliche Gewalt ist keine Konstante des Körpers, sondern der patriarchalen Macht. Und dennoch können wir den Körper nicht außer acht lassen. Bei der Vergewaltigung, schreibt Susan Brownmiller 1975, konnte und kann die Lex talionis, das primitive System der Vergeltung, keine Anwendung finden. "Es ist", schreibt sie, "dem Bauplan der Geschlechtsorgane, um den man nicht herumkommt, zuzuschreiben, dass der Mann der natürliche Verfolger des Weibes war und die Frau seine natürliche Beute."[2] Die Frau könne sich nicht mit der gleichen Waffe rächen, ganz zu schweigen davon, dass sie schwanger werden kann, er nicht. Bronislaw Malinowski hingegen schreibt von Berichten, denen zufolge auf den südlichen Trobriand-Inseln die in den Gärten jätenden Frauen bisweilen einen fremden Mann anfielen und zu Boden rissen. Sie präsentierten ihre Vulva und masturbierten ihn bis zur Erektion. Dann wurde er von einer von ihnen bestiegen und vergewaltigt. Diese Prozedur soll wohl manchmal auch noch ein zweites Mal gelungen sein. Danach blieb den Frauen nichts anderes übrig, als im Kollektiv auf ihn zu defäkieren und zu urinieren und ihm zu guter Letzt auch noch die Vulva ins Gesicht zu reiben.[3] Frauen können zwar einem Mann Gewalt antun, das Vergnügen an einer Gruppenvergewaltigung, wie wir sie aus sämtlichen Kriegen kennen, bleibt ihnen jedoch verwehrt, weil es beim Geschlechtsverkehr der - wenn auch ungewollten - Mitarbeit des Mannes bedarf. Dass Frauen Macht ausüben können, steht außer Zweifel. Hans-Peter Duerr berichtet von einer Frau, die in der Weißen Armee gekämpft hatte und einen Rotarmisten während eines Verhörs zwang, sich nackt auszuziehen und ihn - in Anspielung auf die Vergewaltigungen durch die Roten - wie folgt ansprach: "Du hast sicher schon einmal eine Frau gehabt. Doch jetzt hat eine Frau dich! Ein anderes Spiel, oder? ... Aber so ist der Krieg, und da zählt das Geschlecht nicht!"[4] Eine Situation, so unterstelle ich, in die sich viele Frauen mit Vergnügen hineinphantasieren. Vielleicht ist der Grund für den hartnäckigen Widerstand der Männer gegen eine Aufweichung des Patriarchats schlicht Angst vor der Rache. Seit Anfang der 90er Jahre ist der Krieg uns wieder nähergerückt. Ich werde in der Folge auf den Golfkrieg und den Krieg in Ex-Jugoslawien eingehen. Der neu erstandene Nationalismus allerorten, der dem Zusammenbruch der alten dualen Weltordnung auf den Fuß folgte, hat die Geschlechterfrage zugespitzt und viele der kleinen Siege der Frauenbewegung zunichte gemacht. Mit dem Golfkrieg wurden die ohnehin schon in Verwirrung geratenen Denkstrukturen weiter durcheinandergebracht. Es war ein Krieg, auf dem nicht auf der einen Seite die Guten, auf der anderen die Bösen standen, wie die Älteren unter uns einst bei den nationalen Befreiungskriegen meinten. Viele Männer meiner Generation haben diese neue Herausforderung dazu genützt, ihr Weltbild nachzubessern. Die Schleusen nationalistischen Denkens, die die deutsche Einheit auch für ehemals linke Männer öffnete, führten während des Golfkriegs zu einem umfassenden Bekenntnis zur "abendländischen" Kultur unter der Führung der USA. Erleichtert wurde dieser politische Schwenk durch die Bedrohung Israels durch deutsches Gas. Sie bot eine günstige Gelegenheit, Anschluss zu finden an den männlichen Mainstream. Man konnte männlich sein in diesem Krieg, und sei es nur vor dem Fernsehschirm als passiver Mitspieler beim chirurgischen Schnitt aus dem Cockpit. Oder als Teilnehmer an einer der unzähligen Talk-Shows. Mit einem Schlag verschwanden selbst die Alibi-Frauen von der Bildfläche. In Israel durften sie nicht einmal mehr die Nachrichten sprechen, weil ihnen nach Meinung des Fernsehintendanten der autoritative Ton fehlte, der angeblich nötig sei, um die Zuschauer in eine zuversichtliche Stimmung zu versetzen. Und in der Tat: Das technische Reden über den Krieg, verbunden mit einer Vermenschlichung der Vernichtungswaffen - wenn etwa von "Waffenfamilien" oder der "Verwundbarkeit" von Waffen gesprochen wurde -, ging den Frauen damals wenigstens nicht so leicht über die Lippen. Ebensowenig wie die Sexualisierung des Krieges, wenn von "Penetration" und "Vergewaltigung" gesprochen wurde, und US-Verteidigungsminister Cheney in pubertärer Einfalt die Bombe vor laufender Kamera mit "For Saddam with love" signierte. Vorbereitung und Durchführung des Krieges am Golf waren eine groteske Leistungsschau patriarchaler Kultur. Männliche Härte und Entschlossenheit, die sich als Rationalität ausgaben, machten Front gegen weibliche Unvernunft und Emotionalität. Wer nachgibt, einlenkt, verhandelt, sich umstimmen läßt, handelt sich in dieser Kultur den Vorwurf der Feigheit ein. Und Feigheit ist weibisch, das Schlimmste, was schon in Friedenszeiten einem Mann vorgehalten werden kann. Die CNN-Bilder forderten auf, sich mit den Piloten als Helden des Himmels zu identifizieren, die in der Finsternis die gesichtslose "Mutter Erde" aufs Kreuz legten. Im Gegensatz zum angeblich nicht durchhaltbaren Wirtschaftsembargo funktionierte das Informationsembargo klaglos. Niemals durften wir den Krieg aus der Opferperspektive sehen. Es war die Stunde der abstrakten Rede von der "Enthauptung" Saddams. Als alles vorbei war, durfte den Arabern kein Fünkchen Stolz bleiben. Sie sollten sich nicht nur körperlich, sondern auch geistig der Pax Americana unterwerfen. Im Gegensatz zur Abwesenheit der Bilder von zivilen Kriegsopfern wurden die Bilder der gefangenengenommen Besiegten in all ihrem Elend genüsslich zelebriert. Neben der Festigung der amerikanischen Vorherrschaft nicht nur in der Region, sondern weltweit, dem Ausprobieren neuer Kriegstechnik und dem Verschrotten alter, dem Austesten sowjetischer Stillhaltebereitschaft und dem Ablenken von der selbstgemachten inneramerikanischen Sozialmisere ging es im Golf-Krieg um die Wahrung von Gesichtern, um die Mannesehre von George Bush und Saddam Hussein und aller, die sich mit deren patriotischen Raketen identifizierten. Dem Sieger im ungleichen Kampf hat der Golf-Krieg die in Vietnam verlorene nationale Ehre zurückgegeben und damit Präsident Bush vom Image des "Weichlings" gereinigt. Am 28. Februar 1991, dem Tag, an dem die Bewohnerinnen und Bewohner von Bagdad erstmals seit Beginn der Westoffensive ohne Bombenterror schlafen durften, teilte Präsident Bush ihnen mit, dass er nichts gegen sie persönlich habe. Der sowjetische Schriftsteller Ilja Ehrenburg hielt unter dem Eindruck der gigantischen Verteidigungsanstrengungen seines Volkes gegen Nazideutschland einen Krieg ohne Hass für unmoralisch, für ebenso schamlos wie eine Ehe ohne Liebe - ein interessanter Vergleich. Statt Hass gab es im Krieg am Golf auf Seiten der Alliierten Rassismus. Die amerikanischen Bomberpiloten sprachen von Ratten, die aus ihren Löchern kriechen, und von Kakerlaken, die auseinander rennen, wenn man das Licht anknipst. Das Erstarken fundamentalistischer Strömungen als Ausdruck von krisenhafter Verzweiflung und Protest gegen die Brutalität des Nordens in den Ländern der Peripherie und als Festklammern an den eigenen Privilegien im Zentrum trifft Frauen in besonderer Weise: Fundamentalistische Regierungen und Bewegungen sind nicht nur nationalistisch, intolerant und rassistisch, sondern vor allem auch sexistisch. Durch radikales Verhüllen der Frauen, durch Einschränkung ihrer Bewegungsfreiheit außer Haus und durch Zuweisung einer klar umrissenen untergeordneten sozialen Rolle hoffen die gedemütigten Männer des Südens, ihre angeschlagene Männlichkeit wiederzugewinnen. "Mehr denn je werden sie nun die verschleierten Frauen benötigen, um zu verbergen, wie nackt sie dastehen", schrieb die marokkanische Schriftstellerin Fatima Mernissi nach dem Golfkrieg.[5] Dabei konnte sie damals nicht ahnen, was die Taliban sechs Jahre später den Afghaninnen antun würden. Ebenso wie die Frauen im Krieg von den jeweiligen Feinden auch als Botschaft von Männerbund zu Männerbund vergewaltigt werden, müssen sie bei einer fundamentalistischen Verengung der Gesellschaft als Symbole von kultureller Reinheit und Tradition herhalten. Die Nation wird von einer Frau verkörpert. Je größer die symbolhafte Bedeutung der Frau, desto größer die Kontrolle über ihren Körper, desto größer die Gewalt und ihr Ausschluss aus dem öffentlichen Leben. Diese verschärfte Trennung von öffentlicher Macht und privater Liebes- und Überlebensarbeit bildet die Saat für weitere Gewalt. Da passt es auch gut ins Bild, dass neuerdings evolutionspsychologische Theorien sich einer wachsenden Anhängerschaft erfreuen. Vergewaltiger würden einem "natürlichen biologischen" Programm gehorchen, das allen Männern dieser Welt innewohne, behaupten die beiden Amerikaner Randy Thornhill und Craig Palmer in ihrer "Naturgeschichte der Vergewaltigung". Der Mann strebe nach Masse, die Frau nach Klasse. Eine Frau kann mit viel Aufwand wenige Kinder, ein Mann mit wenig Aufwand viele Kinder in die Welt setzen. Also hole er sich mit Gewalt, was ihm die Frau freiwillig verwehrt.[6] So erschüttert waren wir von den Ereignissen am Golf und von den alt-neuen Macho-Tönen im Land, dass wir erst gar nicht merkten, wie sich unweit unserer Grenze ein neuer Krieg anbahnte, der so gar nichts von der sterilen Bilderlosigkeit des Golfkriegs hatte. Am 25. Juni 1991 erklärten - unter maßgeblicher Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland und Österreichs - Slowenien und Kroatien ihre Unabhängigkeit, am 26. Juni griff die Jugoslawische Volksarmee Slowenien an und kurz darauf Kroatien. Ahnend, was sein Land erwartete, ersuchte der bosnische Präsident Alija Izetbegovi im September 1991 Lord Carringtons Jugoslawienkonferenz um die Einrichtung eines EU-Fonds zur Auflösung der in Bosnien stationierten Volksarmee. Er fand kein Gehör. Am 6. April 1992 erklärte Bosnien-Herzegowina seine Unabhängigkeit, und die Jugoslawische Volksarmee unterstützte bosnisch-serbische Milizen und Terrorkommandos aus Serbien bei der Übernahme ost- und nordbosnischer Städte und Dörfer. Die Folgen sind bekannt: Im Zuge der sogenannten "ethnischen Säuberungen" wurden hundert Tausende ermordet, in Lager gesperrt und vergewaltigt. Millionen wurden vertrieben. Diesmal lautete die Botschaft an die Medien, möglichst viele Opfer möglichst genau zu zeigen. Denn diesmal stand die Mehrheit der westlichen Welt zumindest vordergründig auf Seiten der Angegriffenen. Besonders in Deutschland und Österreich meldeten sich historische anti-serbische Reflexe. Gleichzeitig unternahmen die diversen Bosnien-Friedensmissionen aber nichts, um das multikulturelle Bosnien zu retten. Schritt für Schritt segneten sie vielmehr die Territorialgewinne der bosnischen Serben ab. Als Radovan Karadži sein Kriegsziel erreicht hatte, wurde den Kriegsparteien unter der Führung der USA ein Frieden auferlegt, der den Status Quo bestätigte. Weil dieser sich jedoch nicht so gut ausmacht, fordert der Friedensvertrag von Dayton weiterhin die Rückkehr der Flüchtlinge und die Wiederherstellung der bosnischen Multinationalität. Die unausgesprochene, oft aber auch ausgesprochene rassistische Botschaft des Krieges am Balkan lautet: Gleich und gleich gesellt sich gern. Ungleiches passt nicht zusammen. Immer und immer wieder beschworen Journalisten - anstatt sich um eine Analyse zu bemühen - einen angeblichen atavistischen Hass. Diese Botschaft wurde von so manchem Politiker kopfnickend vernommen. O-Ton des früheren deutschen Innenministers Kanther im Juli 1996: Überall, wo die multikulturelle Gesellschaft besteht - zuletzt braucht man leider nur in das frühere Jugoslawien zu schauen -, ist das ein schlimmer Stress und oft noch viel mehr Leid und Streit zwischen den Bevölkerungsgruppen. Und die Frauen? Sie wurden vergewaltigt, wie in jedem Krieg. Auf allen Seiten. Die Hauptopfer jedoch waren Musliminnen. Sie wurden in der ersten Kriegsphase von bosnischen Serben vergewaltigt, später - 1993 - von bosnischen Kroaten. Sie wurden von einzelnen Soldaten vergewaltigt, die in ihre Häuser einfielen. Sie wurden in Lager verschleppt und dort Nacht für Nacht von ganzen Rudeln betrunkener Männer vergewaltigt. Wurden sie schwanger, mussten sie so lange bleiben, bis es für eine Abtreibung zu spät war. Und sie wurden - von bosnischen Serben ebenso wie von Kroaten - in Privathäuser gebracht und dort monatelang als Haushalts- und Sexsklavinnen festgehalten. Anders als die Frauen in früheren Kriegen haben viele Bosnierinnen sehr bald begonnen, öffentlich Anklage zu erheben. Die Medien gingen mit dieser Bereitschaft um wie die meisten Medien ein solches Thema zu behandeln pflegen: reißerisch und pornografisch. Die bosnischen Frauen, die in der ersten Zeit das dringende Bedürfnis hatten, der Welt mitzuteilen, was ihnen widerfahren war, wurden nach Einzelheiten ausgefragt und mit Vorliebe als weinende Opfer abgelichtet. Bald begannen sie sich dagegen zu wehren und sich den Medien zu entziehen. Sie wollten ihre Identität nicht ausschließlich über ihren Opferstatus definieren. Die Zahlen wurden in unverantwortlicher Weise und ohne jeden Anhaltspunkt in die Höhe getrieben. Und sofort wussten es alle Journalisten und Journalistinnen ganz genau: Für Musliminnen sei es eine besondere Schande, vergewaltigt zu werden. Ohne einen Funken Wissen über die Kultur der bosnischen Muslime im ehemaligen Jugoslawien - und ich spreche hier über Deutschland, wo ich lebe -, übernahmen auch Feministinnen das Vorurteil von der unterdrückten Frau im Islam, die so gar keine Chance hat, etwas anderes als Opfer zu sein. In der deutschen Frauenbewegung war die Betroffenheit so groß, dass jedes kritische Nachdenken als Verrat an den Opfern geahndet wurde. Das Bedürfnis, mit Haut und Haar aufzugehen im Leiden der Vergewaltigten, verwischte die Trennlinie zwischen tatsächlichen Opfern und TV-Konsumentinnen. "Das dürfen wir Frauen uns nicht gefallen lassen", schrieb in einem Rundbrief eine Frau von einer "Freien Frauenliste Reutlingen". Sie fühle sich mit diesen Frauen "beschmutzt, erniedrigt und entwürdigt". Man hatte den Eindruck, dass die Frauen fast glücklich waren, endlich das perfekte Opfer patriarchaler Gewalt gefunden zu haben. In dieser ersten Betroffenheitsphase war es unmöglich, die Notwendigkeit einer feministischen Abgrenzung von nationalistischer Vergewaltigungsrhetorik auch nur anzusprechen. So gab es in Deutschland in den Dezembertagen des Jahres 1992 eine Heldin, deren im Sommer in Kroatien geführte Interviews mit vergewaltigten bosnischen Frauen der deutschen Presse lange Zeit die eigene Recherche ersparten. Dass der von Nina Kadi verfaßte Bericht über die Vergewaltigungslager in Bosnien sich einer völkischen Sprache bediente, störte weder die Presse noch viele der aufgewühlten deutschen Feministinnen. Kadi beklagte, dass es sich bei den Vergewaltigten um "die reproduktivsten Teile der Bevölkerung" handle und dass damit "sowohl die Nation als auch Frauen als Symbol für Mutterschaft" zerstört würden. "Die sexuell misshandelten Frauen, obwohl im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, werden zur Chiffre für etwas anderes", schreibt die kroatische Feministin Biljana Kaši über die "politische Emotionalität", die die Frauenbewegung erfasst hatte.[7] Die Erfahrungen der Lager-Überlebenden wurden auch von Feministinnen missbraucht, um nach einem militärischen Eingreifen zu rufen. Die Berliner Sozialarbeiterin Mira Renka merkt an: Frauen haben eine Analyse von Vergewaltigung mitgetragen, die das Problem der Vergewaltigung nicht in der Vergewaltigung der Frau sieht, sondern in der Nationalität ihres Vergewaltigers und in der Nationalität des Fötus, mit dem sie unter Umständen schwanger ist. Eine Analyse, die impliziert, dass die Frauen diese Kinder nicht wollen, weil es "Serbenkinder" sind, und nicht, weil sie aufgrund von Vergewaltigung schwanger sind. Die zudem ein Nationalitätsprinzip vertritt, nach dem die Nationalität eines Kindes strikt durch die Nationalität des biologischen Vaters bestimmt wird.[8] Es drängt sich die Frage auf, ob der Bosnien-Krieg für manche Frauen eine ähnliche Funktion erfüllte wie der Golfkrieg für viele einst linke Männer: Anpassung an das Denken des Mainstream; das Zulassen völkischer und nationalistischer Erklärungsmuster als simple Antwort auf einen komplexen Konflikt; und die Vereinfachung der anstrengenden Arbeit einer feministischen Analyse in Zeiten des Krieges. Die Kehrseite der beschriebenen Kopflosigkeit emotionaler Empörung und des in kriegshetzerischer Absicht Hochlizitierens von Vergewaltigungszahlen ist die entpolitisierende feministische Sicht auf die ewig gleiche Männergewalt im Krieg: Denn wenn alle Männer in allen Kriegen vergewaltigen, dann sind alle Frauen Opfer. Besonders komfortabel war diese Vulgäranalyse für manche Belgrader Frau in Schwarz, die sich auf diese Weise der politischen Mitverantwortung für die Taten des eigenen Staates entledigte. Die feministische Rede von allen Männern, die vergewaltigen, entspricht der Rede vom Bürgerkrieg, die sich weitgehend durchgesetzt hat, wodurch verschleiert wird, dass es in diesem Krieg - oft wechselnde - Angreifer und Angegriffene, Vertreiber und Vertriebene gegeben hat. Nun möchte ich ein paar grundsätzliche Gedanken zu Geschlechterfrage und Krieg zur Diskussion stellen. Wollen wir der Erziehungswissenschafterin Mathilde Vaerting[9] glauben, die als erste ordentliche Professorin Deutschlands 1923 nach Jena berufen wurde, waren von Frauen beherrschte Staaten in der Geschichte ebenso martialisch wie ihr männliches Pendant es so trefflich bewiesen hat. Es gab, so Vaerting, friedliche und kriegerische Frauenstaaten ebenso wie es friedliche und kriegerische Männerstaaten gab. Oft werden die historischen Fakten aber verfälscht wiedergegeben, weil ein von Frauen geführter Staat jenseits des geistigen Horizonts männlicher Wissenschaftler liegt. Interessante Beobachtungen stellt Vaerting über den Zusammenhang von "Kriegsmut und Menschenfurcht" an. Bei unkriegerischen Völkern scheinen beide Geschlechter keinen Wert auf Mut zu legen. Von männerstaatlichen Historikern wird diese ihnen unverständliche Abwesenheit martialischen Denkens als Feigheit dargestellt. Dagegen wendet Vaerting ein: Dass Menschenfurcht auch Feigheit ist und zwar die größte, weil es geistige und nicht körperliche Furcht ist, wird vom kriegerischen Staat übersehen, weil Menschenfurcht der kriegerischen Tüchtigkeit nicht schadet, sondern sie durch Erleichterung des Gehorsams hebt.[10] Diese Beobachtung führt in gerader Linie zurück zur Abstraktion des Golfkriegs: zur Fleischlosigkeit des Computerkrieges, zum Bilderverbot, zur Entmenschlichung und Dämonisierung von Saddam Hussein und des islamischen Fundamentalismus als ideologische Vorarbeit für "hartes Durchgreifen". Nichts ist abträglicher für das Schaffen von Feindbildern als dem sogenannten "Feind" ins Gesicht zu schauen. Die als "nicht objektiv" verurteilte Veröffentlichung von zwanzig Fotos getöteter palästinensischer Kinder in einer linken israelischen Zeitung führte in Israel zu einem Skandal. "Sie haben Angst vor der Humanisierung der Opfer", sagte die Anwältin Felicia Langer, die - obwohl Frau - als Israelin das Vorrecht genoss, sich in den Medien zum Golfkrieg äußern zu dürfen. In Ex-Jugoslawien, wo die Feinde Nachbarn, voneinander äußerlich nicht unterscheidbar waren und trotz angestrengter Bemühungen durch die Linguisten immer noch dieselbe Sprache sprechen, mussten die zu Bekämpfenden durch Kriegspropaganda erst entmenschlicht werden, wie im Nationalsozialismus die Juden, mussten die Menschen durch das Erzeugen von Angst und kultureller Überlegenheitsgefühle aufeinander gehetzt werden, ehe sie reif waren für den Krieg. Die Manipulation durch das Fernsehen war ungeheuerlich. Der Wahrheitsgehalt der Nachrichten war vollkommen nebensächlich. Für die identischen Kriegsleichen wurde wahlweise die eine oder die andere Seite verantwortlich gemacht, je nach Sender. Die Angst der Männer vor den Menschen, ihre Unfähigkeit zur Auseinandersetzung und zum Austragen von Konflikten führt im Beziehungsalltag zur Misshandlung und Vergewaltigung von Frauen, in der Politik zur schnellen Option für den Krieg. Einen Zusammenhang herzustellen zwischen Männergewalt im Ehebett und der Operation Wüstensturm ist keineswegs abwegig. Während des Golfkriegs, berichtet das Israelische Frauennetzwerk, verdreifachte sich in Israel die Zahl der Frauen, die in einem Frauenhaus Zuflucht suchten. Nach der Rückkehr der bosnischen Soldaten aus dem Krieg sind Frauen und Kinder nun mit einer neuen, zivilen Gewalt konfrontiert, die nicht mehr auf den Feind geschoben werden kann. Obwohl Mathilde Vaerting großen Wert darauf legt, Machtstrukturen - die eingeschlechtliche Vorherrschaft - und nicht die Biologie für gesellschaftliche Verhältnisse verantwortlich zu machen, stellt sie dennoch einen gravierenden Unterschied zwischen Frauen und Männern fest: Im Frauenstaate gilt die Todesfurcht als eine sehr schätzenswerte Eigenschaft, ja als Tugend, im Männerstaate hingegen gilt die Todesfurcht als schändlich und die Todesverachtung als Tugend. Im Männerstaate gilt die Losung: Das Leben ist der Güter höchstes nicht, im Frauenstaate aber gilt das Leben umgekehrt als das höchste Gut. Ein Wort wie: "Navigare necesse est, vivere non necesse" (Seefahren ist notwendig, leben nicht) ist rein männerstaatlich. Die Frau würde sich sagen, wenn ich nicht lebe, kann ich auch nicht seefahren, also ist das Leben das höchste und das Seefahren das zweite. Der Männerstaat aber schätzt das Leben so gering ein, dass er sich mit dieser Unterschätzung sogar in logische Widersprüche verwickelt.[11] Die Professorin für Soziologie an der Universität Essen Doris Janshen spricht von der männlichen Geschlechtsehre, die an das Tötungsprivileg gekoppelt ist, während die Geschlechtsehre der Frau an - was sonst? - das Gebärprivileg gebunden ist. Diese Polarität zieht sich auch durch das zivile Leben. Schlachter und Henker sind Männer. Frauen, die als Mörderinnen oder Terroristinnen diesen Geschlechtercode durchbrechen, müssen mit schärfsten Sanktionen rechnen. Janshen meint, dass die Patriarchatsanalyse von der Kriegssituation aus betrieben werden muss. Eine Kriegssituation ist dann gegeben, wenn das fast überall geltende Tötungsverbot übergeht in ein Tötungsgebot für Männer. In der Sprache der Generalität: In Kriegszeiten gibt es höhere Werte als das Leben. Auch das Vergewaltigungsgebot wird in Friedenszeiten vorbereitet. Es gibt, so Janshen, im Militär Geräte, die mit weiblichen Genitalien assoziiert und auch explizit so benannt werden.[12] Zumindest in den 80er Jahren wurden holländischen Soldaten vor militärischen Übungen Hardcore-Pornos vorgeführt, um sie zu mehr Aggressivität zu stimulieren. Der auf Video festgehaltene deutsche Soldatenspaß - nachgespielte Vergewaltigungsszenen - ging vor einigen Jahren durch die Presse. Die Schriften der Militärbefehlshaber bestätigen, daß es nicht schwer ist, die Tötungshemmung zu überwinden. Auch wenn als Richtwert zwanzig oder dreißig Prozent bewußt danebenschießen, so überwinden die restlichen siebzig oder achtzig Prozent diese Hemmung, wobei es die Aufgabe der Generäle ist, den Gefahrenmoment des Tötungsrausches in der Truppe zu verhindern. Janshen sieht in der Lust am Töten einen existentiellen Klärungsanspruch von Männern. Auch Evelyn Fox Keller erkennt einen Zusammenhang zwischen dem männlichen Bedürfnis, das Geheimnis des Lebens den Frauen abzutrotzen und der Produktion todbringender Waffen. Bei der Entwicklung der amerikanischen Atombombe während des 2. Weltkrieges bedienten sich die forschenden Physiker mit Vorliebe Metaphern von Schwangerschaft und Geburt. Als es endlich so weit war, wurde die von Robert Oppenheimer entwickelte A-Bombe zu "Oppenheimers Baby", während die H-Bombe "Tellers Baby" genannt wurde. Fox Keller beschreibt dieselbe Vermenschlichung und Verniedlichung von Waffen, die wir vom Golfkrieg her kennen. Abschussbereite Raketen werden in "Weihnachtsbaumfarmen" ("Christmas tree farms") aufgestellt, ihr Aufprall wird "Fußspur" genannt ("footprints"). "Getötet" werden Bomben und Raketen, nicht Menschen, und wenn ein Sprengkopf durch einen anderen zerstört wird, spricht man von "fratricide" ("Brudermord"). Der eigene strategische Vorteil bemisst sich an der Anzahl der "überlebenden" Sprengköpfe.[13] All dies bedeutet aber keineswegs, dass Frauen zur Ausübung oder zumindest Anstiftung von Gewalt unfähig sind. In Ex-Jugoslawien sind die meisten Frauen zweifellos dem nationalistischen Ausgrenzungswahn ihrer Männer gefolgt. Zu Beginn - 1991 - forderten kroatische Mütter von der Armee ihres Landes, sich in die Kasernen zurückzuziehen und eine friedliche Lösung des Konflikts abzuwarten. Sie hätten schließlich ihre Söhne nicht zur Welt gebracht, damit sie getötet würden. Die Soldaten wurden getötet, und die hinterbliebenen Frauen ließen sich als Heldenmütter vom kroatischen Nationalismus missbrauchen. Später hinderten bosnisch-serbische Frauen mit ihren Leibern humanitäre Konvois daran, in bosniakisches Territorium weiterzufahren, wo muslimische Frauen und Kinder am Verhungern waren. Und nach der Rückeroberung der Krajina durch Kroatien im Sommer 1995 warfen kroatische Frauen der abziehenden serbischen Bevölkerung Steine und Hohn hinterher. Dass Frauen zu Gewalt fähig sind, ist nicht erst seit Ruanda bewiesen, dort aber wurde so manche in den hundert Tagen des Tötens im Jahre 1994 von einem wahren Blutrausch erfaßt. Sie wurden von Menschen, Männern und Frauen mit politischem, militärischem und administrativem Einfluß, zum Genozid aufgefordert. Die Ministerin für Frauen und Familie, so weiß die in London ansässige Menschenrechtsorganisation Africa Rights zu berichten, habe Flüchtlingscamps besucht und die Abschlachtung von Hunderten von Tutsi-Männern beaufsichtigt. Gebildete Frauen, darunter auffallend viele Lehrerinnen, töteten selbst oder übergaben ihnen anvertraute Menschen der Mordmiliz. In einem Spital in Kibuye kennzeichnete eine Krankenschwester Tutsi-Kinder, indem sie ihnen die Köpfe schor. Andere verrieten ihre Nachbarn und feuerten die Mörder mit ihren schrillen Schreien an. Mehrere am Genozid beteiligte Nonnen haben sich ins Ausland abgesetzt, wo sie in Belgien von ihrem Orden geschützt werden. "Schießt zuerst auf die Frauen", soll eine Anweisung gelautet haben, die man zu RAF-Zeiten in der Bundesrepublik den bewaffneten Antiterror-Einheiten mit auf den Weg gab. Die einer Aufgabe verpflichteten Frauen sind radikaler und gefährlicher als Männer. Während Männer oft einen Augenblick zögern, schießen Frauen sofort.[14] Frauen haben sich immer wieder fasziniert gezeigt von der Verwegenheit und dem Mut kriegerischer Frauen. Diese Bewunderung zeugt andererseits aber auch von der überkommenen Tabuisierung von Waffen in Frauenhand. Doch Frauen waren früher durchaus beteiligt am Kriegshandwerk. Vor der Einführung der modernen Massenarmee bestand der Tross zur Versorgung der Söldnerheere im wesentlichen aus Frauen. Als Marketenderinnen, Wäscherinnen, Köchinnen und Prostituierte zogen sie, häufig in festen Lebensgemeinschaften mit Soldaten, hinter den Truppen her. Erst die Schaffung von stehenden Heeren am Ende des 18. Jahrhunderts ließ die Frauen entbehrlich erscheinen, so dass ihnen als einzige Aufgabe nur noch die sexuelle Versorgung der Soldaten blieb. Erst dann wurde das Heer zu der ausschließlich männlichen Institution wie wir es heute kennen.[15] Und damit einher ging das bürgerliche Stereotyp von der friedfertigen Frau, deren Grausamkeit sich im Alltag entfaltet, die aber dennoch unverdrossen für das Leben zuständig ist. Womit wir beim leidigen Leben wären: Mit dem Wort Leben haben viele Frauen ebensolche Probleme wie mit dem Wort Frieden, sobald die beiden wie selbstverständlich mit Weiblichkeit in Verbindung gebracht werden. Es verpflichtet uns zu immerwährender Erdenschwere, derweil die Männer sich den Rücken freihalten für Höhenflüge aller Art. Und mit dem Argument des Lebensschutzes wird Frauen das Selbstbestimmungsrecht über ihren Körper verweigert. Wenn man aber Frauen aus Ländern der Dritten Welt fragt, warum sie sich für den Frieden einsetzen, antworten sie unweigerlich: "Weil wir Frauen näher am Leben sind." "Wo gibt es die Mutter, die den Krieg will? Die ihn ihren Kindern, ihren Enkelkindern wünscht?" fragt Swetlana Alexijewitsch in ihrem Buch Der Krieg hat kein weibliches Gesicht[16], in dem Frauen über ihre Kriegserinnerungen sprechen, die in der Sowjetunion ihre Heimat als Soldatinnen und Partisaninnen gegen die Deutsche Wehrmacht verteidigten. Und in der Tat: Das Komitee der Soldatenmütter, die nach Tschetschenien fuhren, um ihre Söhne aus dem Krieg zu holen, hat sich zur größten Menschenrechtsbewegung Russlands entwickelt. Nur: dass es bei dem Krieg, dem man den anderen wünscht, eben nicht um die eigenen Kinder und Enkelkinder geht. Diese Erfahrung läßt sich durch das Verhalten der Mehrheitsbevölkerung in Nazi-Deutschland drastisch belegen. Auch meine durch "Aimée & Jaguar" berühmt gewordene Protagonistin Lilly Wust erkannte die mörderische Qualität des Regimes, dem sie ihre Söhne geboren hatte, erst, als sie sich in eine Jüdin verliebte. Die Frage nach der größeren Lebensnähe von Frauen lässt sich nicht grundsätzlich, wohl aber verallgemeinernd und pragmatisch beantworten. Derzeit ist es so, dass weltweit Frauen die Verantwortung für das Weiterleben im Alltag tragen, egal unter welchen abscheulichen Bedingungen. Derzeit ist es so, dass sich Männer weltweit aus der Verantwortung für ihre Nachkommenschaft stehlen, als einzelne Väter ebenso wie als Politiker, die keine Verantwortung tragen für die Zukunft anderer Leute Kinder. Das Wort "Verantwortung" hat für Frauen und Männer eine grundsätzlich andere Bedeutung. Derzeit bleibt den Frauen nichts anderes übrig als sich mit einer Moral der Lebenserhaltung beauftragt zu sehen, von der sich die Männer befreit halten können. Es besteht für mich kein Zweifel, dass diese Moral die bessere ist. Ich plädiere deshalb für eine den tatsächlichen Opferzahlen entsprechende Frauenquote bei Friedensmissionen und Friedensverhandlungen. Noch besser wäre es, die Aufgabe versuchsweise ganz Frauen überlassen. Die während des Golfkriegs entstandene Idee eines Weltsicherheitsrats der Frauen ist mehr denn je aktuell. Allerorten wird von der Stärkung der Zivilgesellschaft und von demokratischen Strukturen gesprochen. Dass diese nur unter maßgeblicher Beteiligung von Frauen erreicht werden können, wird übersehen. Frauen leisten beim Wiederaufbau zwar weltweit die lokale Basisarbeit, werden aber in die politischen Entscheidungsprozesse nicht einbezogen. Die Debatte um das ominöse weibliche und männliche Prinzip ebenso wie jene um Identität erscheinen mir überflüssig. Mir geht es schlicht um Gerechtigkeit. Es geht um Macht- und Gewaltverhältnisse, und diese sind eindeutig. Es geht um psychische Strukturen, die durch diese Machtverhältnisse stets von Neuem geschaffen werden und die Voraussetzung bilden für den fortgesetzten Machterhalt des herrschenden Geschlechts, und diese sind ebenso eindeutig. Solange der Krieg noch nicht auf der Tagesordnung stand, wurde viel von "Feminisierung" als der einzigen Rettung dieser Welt geredet. Die meisten Männer, die dies taten, waren aber weit davon entfernt, an eine Konkretisierung dieser Leerformel zu denken, und schlossen vor allem sich selbst als Personen aus, die zur Erreichung dieses Ziel Macht und Geld abzugeben hätten. Heute ist es unter westlichen Feministinnen modern, von der Auflösung der Geschlechter zu sprechen. Ich selbst kann sie nirgends sehen, im Gegenteil: Ich sehe Polarisierung, mit vereinzelten Durchbrüchen privilegierter oder besonders durchsetzungsfähiger Frauen. Vielleicht besteht unter den jungen Akademikerinnen der reichen, weißen, westlichen Welt der Wunsch, auch den körperlichen Geschlechterunterschied zu leugnen, um daran glauben zu können, dass der soziale Unterschied unter den vorgefundenen Verhältnissen ganz von alleine verschwinden wird. Der Liberalismus, der es vorzieht, die Ähnlichkeit oder Gleichheit zwischen Männern und Frauen zu betonen, verbündet sich heute vielfach mit der traditionellen Betonung des Geschlechterunterschieds als biologischer Konstante zu einer Sichtweise, die den sozialen Unterschied zwischen den Geschlechtern als irrelevant oder bereits überwunden abtut. Die sich im Weltmaßstab vertiefende Kluft zwischen Männern und Frauen spricht eine andere Sprache. Es ist symptomatisch, dass sich in unseren Breiten zur Magersucht bei jungen Frauen bei jungen Männern das Krankheitssyndrom der Muskelsucht hinzugesellt hat. Für mich ist Weiblichkeit, wie sie heute gelebt und erfahren wird, gelebt und erfahren werden muss - als ein wenn auch erzwungenes Refugium von Menschlichkeit -, immer noch positiv besetzt. Angesichts dessen, was die Herrschaft der Männer aus dieser Welt und ihren Menschen gemacht hat, ist die weibliche Gegenwelt mit all ihrer Beschränktheit allemal geeignet, zum universalen Prinzip erklärt zu werden. Dies würde ich mir vor allem für die Jugendarbeit wünschen. Es ist unerträglich, wie so gut wie sämtliche Analysen über rassistische Gewalt unter Jugendlichen die Geschlechterfrage vernachlässigen und die grassierende Gewaltbereitschaft niemals als zugespitztes Ergebnis der Erziehung zur Männlichkeit begreifen. Selbst wenn die Mittäterschaft von Frauen zweifelsfrei ist (in manchen neonazistischen Gruppen in Brandenburg sind angeblich schon 50 Prozent der Mitglieder weiblich), so bleibt doch das Faktum bestehen, dass die Taten selbst - im Krieg ebenso wie bei der rassistischen Jagd auf Afrikaner - von Männern begangen werden. Die gelegentliche Beteiligung von Frauen erfolgt innerhalb einer männlichen Gewaltkultur, in der Frauen, um als gleichwertig akzeptiert zu werden, sich bewähren müssen. Während des Golfkrieges haben die meisten Frauen inmitten des Männergeheuls vor Entsetzen geschwiegen. Während des Balkankrieges haben sie wieder zu reden begonnen. Was dabei herauskam, war nicht immer ermutigend. Dass sich die Männer im Rahmen ihrer Monokultur als Wahrheitssucher untauglich erwiesen haben, bedeutet noch lange nicht, dass Frauen dazu taugen. Getan haben Frauen allerdings eine Menge. Beim Kriegsverbrechertribunal in Den Haag arbeiten fähige und frauensolidarische Staatsanwältinnen und Richterinnen. Die vom Den Haager Kriegsverbrecher-Tribunal am 26. Juli 1996 gegen acht Täter aus der ostbosnischen Stadt Foa erhobene Anklage wegen Vergewaltigung, sexueller Misshandlung, Folter und Versklavung muslimischer Frauen und Mädchen ist die erste Anklageschrift in der Geschichte des Humanitären Völkerrechts, in der ein Internationales Strafgericht Täter wegen ausschließlich sexueller Straftaten zur Verantwortung zieht - ein historisches Ereignis, von dem die Öffentlichkeit weitgehend unbeeindruckt blieb. Und es ist ein internationales Frauensolidaritätsnetz entstanden, das die elektronischen Kommunikationsmöglichkeiten nützt. Auch die in Indonesien im Mai 1998 vergewaltigten Chinesinnen haben nicht erst fünfzig Jahre abgewartet, ehe sie an die Öffentlichkeit gingen. Sie haben aus den Erfahrungen der Bosnierinnen gelernt. Am Balkan ist eine winzige Frauenbewegung entstanden, die gegen männliche (und weibliche) Ignoranz, Abwehr und offene Aggression ankämpfen muss. Vor allem aber leisten die überwiegend weiblichen und oft traumatisierten Flüchtlinge unter unbeschreiblichen Bedingungen ein gigantisches Ausmaß an Überlebensarbeit. Aber das konnten Frauen ja schon immer. Und das wiederum garantiert die Führbarkeit weiterer Kriege. Ich kann also nur mit einem Fragezeichen enden. [1] Frankfurter Rundschau, 26. Februar 2000, S. 3. [2] Susan Brownmiller: Gegen unseren Willen, S. Fischer, Frankfurt/Main 1975, S. 23. [3] Zitiert nach Hans Peter Duerr, Obszönität und Gewalt, suhrkamp st 2451, Frankfurt/Main 1995, S. 134. [4] Hans Peter Duerr, op.cit., S. 529. [5] Emma, Sonderheft "Krieg", 1991. [6] "Dämonen der Begierde" in: DER SPIEGEL 16/2000. [7] Susanne Kappeler, Mira Renka, Melanie Beyer (Hg.): Vergewaltigung, Krieg, Nationalismus, Frauenoffensive, München 1983. [8] Susanne Kappeler et al., ebda. [9] Anm. d. Autorin: Worauf M. Vaerting ihre Arbeit begründet, lässt sich aus dem mir vorliegenden Unterlagen nicht entnehmen. Ich zitiere M. Vaerting, weil ihre Beobachtungen mir interessant erscheinen, wohl wissend, dass ethnologische Forschungen und Analysen aus den 20er Jahren und davor kritisch hinterfragt werden müssen - eine Arbeit, die ich selbst nicht leisten kann. [10] Mathilde Vaerting, ebda., S. 133. [11] Mathilde Vaerting, ebda., S. 132. [12] Doris Janshen: "Frauenverachtung, Tötungsprivileg, Vergewaltigungsgebot", in Tagungsdokumentation 2 "Gewalt gegen Frauen", Bundesministerium für Frauenangelegenheiten, Wien, S. 260. [13] Evelyn Fox Keller: Secrets of Life, Secrets of Death, Routledge 1992, S. 54. [14] Eileen MacDonald: Erschießt zuerst die Frauen, Klett-Cotta, Stuttgart 1992. [15] Claudia Opitz in: L'Homme ("Krieg"), 3.Jg. Heft 1/1992. [16] Swetlana Alexijewitsch: Der Krieg hat kein weibliches Gesicht, Galgenberg, Hamburg 1989. Vortrag gehalten beim 13. Kulturanthropologisch-Philosophischen Canetti-Symposium zum Thema „Die sexuellen Verwandlungsverbote“, 28.09. - 01.10. 2000, Wien
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